Ausgangspunkt:
Bei der Diskussion um das Thema Unternehmensdemokratie fällt immer wieder auf, dass der Begriff Demokratie auf die reine Mehrheitsdemokratie mit den zwei Polen repräsentative und direkte Demokratie reduziert wird.
These zum Einstieg:
- Der Begriff Demokratie ist breiter zu verstehen als üblich. In der Diskussion wird der Demokratiebegriff auf die Mehrheitsdemokratie verkürzt. Konkordanzdemokratische Muster werden oft nicht wahrgenommen.
- Unternehmen verfügen bereits vielfach über demokratische Strukturen. Beispiel Kapitalgesellschaften: hier entscheiden die Anteilseigner mit Hilfe von demokratischen Entscheidungswerkzeugen über das Unternehmen. Über das Stimmgewicht entscheidet der Anteil am Unternehmenskapital.
Begriffsableitung:
Demokratie (von griechisch δημοκρατία „Herrschaft des Staatsvolkes“; von δῆμος dēmos „Staatsvolk“ und κρατός kratós „Gewalt“, „Macht“, „Herrschaft“
Historisch betrachtet ist das "Staatsvolk" heute zwar sehr umfassend, aber im Laufe der Geschichte wurde eine große Zahl von Menschen nicht dazu gerechnet. Unter anderem dienten Besitz- und Bildungsstand sowie Geschlecht als Kriterium beim Ausschluss des Wahlrechts.
Unterscheidung
Grob lassen sich die Demokratieformen unterscheiden nach:
Konkordanzorientierten Formen
Als Konkordanzdemokratie wird ein Typus der Volksherrschaft bezeichnet, der darauf abzielt, eine möglichst große Zahl von Akteuren (Parteien, Verbände, Minderheiten, gesellschaftliche Gruppen) in den politischen Prozess einzubeziehen und Entscheidungen durch Herbeiführung eines Konsenses zu treffen. Demzufolge spielt die Mehrheitsregel als Entscheidungsmechanismus keine zentrale Rolle im politischen System.
Beispiel: CH (Allparteienregierung in Form des Nationalrates)
Konkurrenzorientierten Formen (Mehrheitsdemokratie)
Grundvoraussetzungen für Konkurrenzdemokratie sind Pluralismus und das Mehrheitsprinzip. Der Pluralismus gewährleistet eine möglichst breite und differenzierte Parteienbildung, so dass die unterschiedlichen Meinungen innerhalb des Volkes wiedergegeben sind. Diese Parteien stehen im gegenseitigen Wettbewerb, zum Beispiel um die Regierungsmacht. Der Begriff Mehrheitsdemokratie, der häufig mit Konkurrenzdemokratie gleichgesetzt wird, hebt die Entscheidungsfindung durch den Mehrheitsentscheid hervor.
Beispiel: D, F, A, UK
Repräsentative Formen (Parlamentarische Demokratie)
In repräsentativen Systemen werden politische Sachentscheidungen im Gegensatz zur direkten Demokratie nicht unmittelbar durch das Volk selbst, sondern durch Abgeordnete getroffen. Die Volksvertreter werden gewählt und entscheiden eigenverantwortlich.
Basisdemokratische Formen (direkte Demokratie)
Direkt demokratisch werden sowohl Verfahren als politische Systeme, in dem die stimmberechtigte Bevölkerung („das Volk“) unmittelbar über politische Sachfragen abstimmt.
Beispiel: CH, Volksbegehren/Bürgerentscheide in D/A
Das Kernproblem
Die Tyrannei der Mehrheit und damit die Notwendigkeit eines Minderheitenschutzes. Siehe dazu Alexis de Toqueville.und Stuart Mill.
Vertikale und horizontale Gewaltenteilung sind ebenfalls Versuche, das Dilemma zu lösen. Siehe dazu auch die Federalist Papers.
Je nach Demokratieform hoher Aufwand, aber auch "Problem" der Verantwortlichkeit. Wer ist für eine Fehlentscheidung verantwortlich. Erfahrung aus der Schweiz - Problem stellt sich selten, das Fehlentscheidungen dort durch Volksentscheid schnell wieder korrigiert werden können.
Anderer Ansatz: deliberative Demokratieformen auf Basis der habermaschen Discourstheorie. Als Einstieg: https://de.wikipedia.org/wiki/Deliberative_Demokratie. Der "machtfreie" Dialog der Argumente zu einer Annäherung der Parteien führen, die sich auf einen gemeinsamen Nenner verständigen. Allerdings extrem aufwendig.
Ziel der Demokratie - Legitimation
Die Herrschaftssoziologie von Max Weber beschreibt z. B. drei Formen der legitimen Herrschaft
charismatische = durch Faszination durch einen Herrschenden/Glauben des Berufung
traditionelle = durch Überlieferung
rationale Herrschaft = Legitimtität der Legalität -> Verfassung!
Demokratie fällt in die Rubrik der rationalen Herrschaft. Ziel ist das Treffen einer "gerechten", sprich von einer breiten Masse von Stakeholder getragenen Entscheidung.
Demokratische Entscheidungen können ein Hilfsmittel sein, Entscheidungen zu legitimieren, die einen breiten Konsens benötigen. Aber: Sie sind nicht immer und jeder Zeit die effizienteste/effektivste Lösung.
Zitat Winston Churchill "No one pretends that democracy is perfect or all-wise. Indeed, it has been said that] democracy is the worst form of government except all those other forms that have been tried from time to time." - Rede vor dem Unterhaus am 11. November 1947 Sitzungsprotokoll column 207
Fazit:
In der Diskussion um die Unternehmensdemokratie sollte der Demokratiebegriff nicht verkürzt werden. Die daraus resultierenden Missverständnisse sind der Diskussion nicht förderlich. Eine weiterer Aspekt, ob und in wie weit eine "Demokratieform" funktioniert ist abhängig von der "Kultur". Dies gilt auch für Unternehmen. Demokratie ist Arbeit und muss immer wieder neu erarbeitet werden. Funktioniert sie, ist sie ein wirkmächtiges Hilfsmittel, um Entscheidungen zu legitimieren.
Zur Vertiefung:
Manfred G. Schmidt: Demokratietheorien. Eine Einführung. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-16054-2 (Inhaltsverzeichnis)