Einleitung
Viele Missverständnisse und Kommunikationspannen basieren auf kulturellen Differenzen und können die Projektarbeit erheblich behindern. In internationalen Teams ist es offensichtlich, dass Kulturunterschiede eine wichtige Rolle spielen. Viele Kulturkonflikte treten jedoch zwischen Subkulturen auf. Die Verständigungsschwierigkeiten zwischen den Kollegen aus dem Vertrieb und den Technikern aus der IT-Abteilungen sind letztendlich Ausdruck unterschiedlicher Subkulturen. Zu guter Letzt ist Kultur ein wesentlicher Aspekt aller Gruppen und damit auch von Abteilungen oder Projektteams, jede dieser Gruppen hat ein Bestreben eine eigene Kultur zu bilden.
Zum Inhalt des Artikels:
- Um den Begriff der Kultur besser fassen zu können werden zuerst
anschauliche Kultur-Modelle vorgestellt und mit Beispielen erläutert. - Die Auswirkung von kulturellen Unterschieden auf die Kommunikation
wird auf Basis des 5-Seiten Modells einer Botschaft dargestellt. - Der Zusammenhang zwischen Gruppendynamik,
Teamentwicklungsphasen und Kulturbildung wird dargestellt. - Persönliche Nachbetrachtungen zum Begriff des Modells.
Kulturmodelle
Am Anfang steht die Frage “Was ist (eine) Kultur? Eine sehr allgemein gehaltene Definition ist die folgende [Maletzke 1996]: Kultur ist „im Wesentlichen zu verstehen als ein System von Konzepten, Überzeugungen, Einstellungen, Werteorientierungen, die sowohl im Verhalten und Handeln der Menschen als auch in ihren geistigen und materiellen Produkten sichtbar werden. Um den Begriff der Kultur präziser fassen zu können werden verschiedene Modelle herangezogen, die im Folgenden auch in Hin-sicht auf die Entstehung von Kulturen beschrieben werden.
Modell: Kultur-Zwiebel
Eine Kultur, das heißt jenes System von Konzepten, Überzeugungen usw. lässt sich mit dem Bild einer-Zwiebel veranschaulichen [Blom, Meier 2002]. Eine Zwiebel besteht aus verschiedenen Schichten und je tiefer man schneidet desto schmerzhafter wird es für die tränenden Augen. Die verschiedenen Schichten werden den Begriffen “Symbole”, “Helden”, “Rituale”, “Normen” sowie “Grundannahmen” zugeordnet:
Bild 1: Kultur-Zwiebel: Die Aspekte einer Kultur werden den Schalen zugeordnet.
Je tiefer die entsprechende Schale liegt, desto schmerzhafter wird ein potentieller Kulturkonflikt.
Zu den Symbolen zählen z.B. Nationalfarben, Kleidung oder einzelne Merkmale einer Kleidung. So ist es in Deutschland für Männer üblich im Büro lange Hosen zu tragen. Der plakative Begriff der Helden lässt dann schon tiefer blicken. In den USA ist Bill Gates, trotz aller Scherze über seine Produkte ein Held, eine Ikone des “american dream”, Linus Torvald hingegen ist ein Antiheld, in Europa wird diese Einschätzung ggf. nicht geteilt. Das erste Konfliktpotenzial in einem internationalen Team wird hiermit schon sichtbar: In einem internationalen Team sollte man sich vorher überlegen ob man “Microsoft-Witze” erzählt oder sich hinterher nicht wundern warum nicht alle in gleicher Weise über den Witz lachen. Hinter den Ritualen verbergen sich Begrüßungen, Höflichkeitsformen, Verbeugungen, Körpersprache, Essensgewohnheiten usw.: Kopfschütteln bedeutet nicht immer eine Verneinung, genauso wenig wie ein Lächeln Zustimmung bedeuten muss. Die klassischen Beispiele für interkulturelle Differenzen und Konflikte können meist diesen ersten drei Schichten zugeordnet werden.
Die großen Schwierigkeiten für die Projektarbeit kommen auf den tieferen Ebenen hinzu. Hinter den Normen bzw. Werten steckt unter anderem das Verständnis von Führung, Hierarchie oder die Einstellung zum Umgang mit Fehlern. Der offene Umgang mit Fehlern ist nie leicht, in manchen Kulturen jedoch fast unmöglich. Hinter dem “Verschweigen” eines Fehlers steckt ggf. eine tiefsitzende Angst vor Ehrverlust. Entsprechend groß ist die z.B. Gefahr, dass das “Verschweigen” fälschlicherweise als Verweigerung interpretiert wird.
Hinter den Grundannahmen verstecken sich auch die Konzepte des Zusammenlebens. In den jeweiligen Bedeutungen spiegeln sich Staatsform, Religion und Geschichte wider. Was hat das mit Projekten zu tun? Unter Umständen sehr viel! Das Grundverständnis dessen was ein Team ist und wie man sich in einem Team zu verhalten hat hängt entscheidend von Werten und Grundannahmen ab. Diese Werte-Differenzen sind kein globales Phänomen. Bereits innerhalb eines Landes oder gar innerhalb eines Unternehmens kann es hier erhebliche Unterschiede geben.
Das Zusammenspiel dieser fünf Aspekte macht eine Kultur aus. Prinzipiell kann jede Gruppe unabhängig von ihrer Größe ein eigenes System also eine eigene (Sub)Kultur entwickeln. Am Beispiel des oben genannten “Symbol der langen Hose” lässt sich dies verdeutlichen: Trotz des “kulturellen Konsens” der langen Hose kann die Wahl des Hemdes bereits von der Zugehörigkeit zu einer Subkulturgruppe abhängen: Software-Entwickler tragen in der Regel andere Hemden als die Kollegen aus der Vertriebsabteilung. Dieses Beispiel hat zwar einen anekdotischen Charakter zeigt aber eine wichtige Randbedingung auf. Die Kultur einer Untergruppe leitet sich aus der Kultur der übergeordneten bzw. größeren Gruppe ab und bleibt teilweise kompatibel.
Kultur-Dimensionen
Um Kulturen und Subkulturen noch detaillierter zu beschreiben lässt sich das Modell der Kulturzwiebel um die von Hofstede eingeführten Kulturdimensionen [Hofstede 2001] ergänzen. Es handelt sich hierbei um 5 Parameter, mit denen die inneren Schichten der Kulturzwiebel konkretisiert werden können:
- Power Distance Index - PDI / Machtdistanz
Die Machtdistanz beschreibt die Erwartungen bzgl. Machtverteilung. Ein hoher Wert für die Machtdistanz steht für eine ungleiche Machtverteilung.
- Individualism - IDV / Individualismus und Kollektivismus.
Hier entspricht ein niedriger Wert einer netzwerkartigen, kollektiven Gesellschaft, ein hoher Wert einer selbstverantworteten und selbstbestimmten Individuen.
- Masculinity versus Femininity MAS / Männlichkeit vs. Weiblichkeit
Ein hoher Wert entspricht der Dominanz der “männlichen” Werte Konkurrenzbereitschaft und Selbstbewusstsein, ein niedriger Wert entspricht den weiblichen Werten Fürsorglichkeit, Kooperation und Bescheidenheit.
- Uncertainty Avoidance Index - UAI / Unsicherheitsvermeidung
beschreibt die Bereitschaft Risiken einzugehen.
- Long-Term Orientation - LTO / Lang- oder kurzfristige Ausrichtung
beschreibt den zeitlichen Planungshorizont einer Gesellschaft.
Die Werte dieser Parameter unterscheiden sich nicht nur zwischen Kulturen im klassischen Sinne sondern auch zwischen Subkulturen. Das heißt es lassen sich Unterschiede zwischen verschiedenen Firmen, Berufsgruppen oder Abteilungen einer Firma identifizieren. Dies wird nachfolgend an verschiedenen Beispielen überwiegend aus der IT-Branche illustriert.
- Machtdistanz ist ein Parameter, der stark von der Entfernung zur Unternehmensführung abhängt. Mitarbeiter in Zentralbereichen, die direkt der Geschäftsführung unterstellt sind, haben ein anderes Verhältnis zu Machtgefällen als jene, die in einer tiefen und in sich flach organisierten Hierarchie-Ebene arbeiten.
- Männlichkeit vs. Weiblichkeit. Es gibt Berufsgruppen in denen sich die Geschlechterverteilung stark unterscheidet, dies kann einen Einfluss auf die in der Arbeitsgruppe vorherrschenden Werte haben. Es ist wichtig zu berücksichtigen ob ein(e) Projektmitarbeiter(in) aus einer Abteilung mit eher frauentypischen oder männertypische Berufen stammt.
- Individualismus und Kollektivismus unterscheiden sich ebenfalls von Berufsgruppe zu Berufsgruppe manchmal sogar innerhalb von einzelnen Tätigkeitsbereichen. Beispielweise haben IT-Administratoren hier ein anderes Verständnis als Software-Entwickler.
- Auch bei der Unsicherheitsvermeidung gibt es ebenfalls Unterschiede innerhalb einzelner Berufsgruppen. Software-Entwickler für webbasierte Systeme oder gar HTML/CSS Design-Entwickler unterscheiden sich bzgl. der Unsicherheitstoleranz von einem Großrechner-Systemadministrator um Welten. Selbst zwischen Verfechtern unterschiedlicher Programmiersprachen lassen sich hier Unterschiede erkennen.
- Die Lang- oder kurzfristige Ausrichtung führt uns nochmals zu den Abteilungen zurück. Kreative Marketing-Spezialisten, die von Kampagne zu Kampagne arbeiten, haben hier eine völlig andere Auffassung als Mitarbeiter aus dem Controlling oder der Unternehmensentwicklung.
Die genannten Charakteristika sind völlig wertfrei zu verstehen, die einzelnen Ausprägungen sind für die tägliche Arbeit im beruflichen Umfeld eingebettet in der jeweiligen Abteilung von großer Bedeutung und ermöglichen das Funktionieren der Tagesarbeit. Im Projekt kann die Unterschiedlichkeit dieser Eigenschaften jedoch zu Konflikten führen. Die Kollegen einer Firma haben nicht zwingend das gleiche Führungsverständnis (Machtdistanz) oder das gleiche Bewusstsein bzgl. gegenseitiger Unterstützung (Kollektivismus). Manches Projektleitungsproblem erscheint so in neuem Licht. Kulturelle Konflikte können also subtiler und versteckter als die “offensichtliche” international-kulturelle Zugehörigkeit sein. Für das Zusammenspiel innerhalb eines Projektteams sind diese subtilen Unterschiede oft gefährlicher als die offensichtlichen.
Kulturunterschiede und Kommunikation
Kulturelle Differenzen führen zu Missverständnissen. Die Kombination der oben genannten Kulturmodelle mit dem 5-Seiten Modell einer Botschaft lassen diesen lapidaren Satz verständlich werden. [zur Bedeutung von Modellen siehe letzter Abschnitt] Eine kulturelle Differenz ist nichts anderes als ein unterschiedliches Verständnis von Ritualen, Werten, Normen oder eine unterschiedliche Ausprägung der genannten oder anderer Parameter. In der Regel sind sich die TeilnehmerInnen eines Kommunikationsvorgangs dieser Unterschiede nicht vollständig bewusst. Dementsprechend werden Botschaften leicht missverstanden, wenn der Empfänger mit anderen Ohren hört.
Die Größe der Ohren ist in unterschiedlichen Kulturen stark verschieden. In einer Kultur in der die Werte Hierarchie und Loyalität groß geschrieben werden ist das Befolgen von Anordnungen oder gar Befehlen leicht und positiv belegt. Dementsprechend ist das Apell Ohr größer, das heißt ein Empfänger einer Botschaft, der einer solchen Kultur angehört, wird in einer Äußerung eher den Appell heraushören.
Der Fall lässt sich auch umgekehrt betrachten. Wenn ein Vertreter einer Hierarchie-Kultur eine Äußerung von sich gibt hat diese in der Regel einen hohen Sach- und Appell-Anteil. Gehört der Empfänger zu einer Kultur, die den Werten Loyalität und Hierarchie eher ablehnend gegenüber steht, wird der Appell leicht überhört. Es liegt auf der Hand, dass hier erhebliche Missverständnisse und Konflikte vorprogrammiert sind. Derartige Konflikte können die Projektarbeit sehr stark behindern. Es wird an dieser Stelle schon deutlich, dass es von Vorteil ist eine gewisse Grundverständigung bzgl. kulturspezifischer Eigenheiten herbeizuführen. Zum einen verringert sich die Wahrscheinlichkeit von Missverständnissen, zum anderen hat dies auch weiter reichende Auswirkungen [siehe folgender Abschnitt]. Im folgenden Abschnitt wird zudem anhand konkreter Beispiel aufgezeigt, dass gravierende Unterschiede bzgl. Hierarchieverständnis bereits innerhalb eines Unternehmens existieren können.
Gruppendynamik und Kulturentstehung
Wenn sich Menschen zu einer Gruppe zusammenfinden oder wie in einem Projekt zu einer Gruppe zusammengestellt werden, wird diese Gruppe eine gewisse Entwicklung durchmachen. Dies ist unvermeidlich und liegt in der Natur des Menschen. Diese Entwicklung läuft unabhängig von der jeweiligen Gruppe auf ähnliche Weise ab. Die Gruppenentwicklung lässt sich damit als Prozess mit mehreren Phasen betrachten. Ein häufig verwendetes Modell identifiziert vier Phasen: Forming, Storming, Norming und Performing [Tuckman 1965]. Beobachtungen zeigen, dass die Abfolge insbesondere die der Storming- und Norming-Phasen häufig wechselt, diese ggf. sogar mehrfach durchlaufen werden. Neben den häufig zu beobachteten Phasen ähneln sich auch die Themen mit denen sich jede Gruppe beschäftigt [Antons et al. 2004]. Es sind: Zugehörigkeit, Macht und Vertrauen. Diese werden in einer gewissen logischen Reihenfolge geklärt. Es werden dabei die wichtigen Fragen beantwortet:
- Wer gehört dazu?
- Wie sehen Rollenverteilung und Hackordnung aus?
- Wer kann sich wie gut und auf wen verlassen?
Unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen und dem Soll-Ablaufs eines Projektes sowie den genannten Themen und Fragen ergibt sich ein Gesamtmodell der Gruppenentwicklung innerhalb eines Projektes [Becker, Huber 2008].
Bild 2:Phasenmodell der Teamentwicklung innerhalb den Rahmenbedingungen eines Projektes.
Die Verständigung über Werte und Normen und die Ausbalancierung der Kulturparameter erfolgt im
Übergang zwischen Vergewisserung und zielgerichtetem Handeln.
In Projektteams wird es im ersten Drittel des Projektes (Vergewisserung) wie in jeder Gruppe zu Rollenkonflikten kommen. Das ist ein unvermeidlicher Vorgang. Jede Gruppe muss zu ihrer eigenen stabilen Rollenverteilung kommen. Manche Rollen wie die des Projektleiters sind gewissermaßen vorbesetzt, andere sind offen. Auch wenn die Rolle des Projektleiters vorbesetzt ist, so wird sie hinterfragt werden und es muss sich noch erweisen ob er sich tatsächlich als der “Leiter und Entscheider” erweist. In gewisser Weise findet in jeder Gruppe eine gewisse Rangelei um die Führungsposition statt. Es gibt aber nicht nur Führungsrollen zu besetzen, es gibt weitere Gruppenrollen, die besetzt werden müssen: Spaßmacher, Konfliktlöser, Problemlöser, Arbeiter, Spezialist, Ideengeber und weitere. Wer welche Rolle besetzen wird, hängt von den individuellen Eigenschaften der Mitarbeiter und von der Zusammensetzung des Teams ab. All diese Rollen-Besetzungen werden mehr oder weniger offen, konstruktiv oder aggressiv verhandelt. Werden die Rollen zügig verteilt und erweist sich die Verteilung als stabil ist ein wichtiger Schritt für das Projekt getan. In vielen Projekten ist jedoch das Gegenteil der Fall. Das Hinterfragen und Streiten dauert das ganze Projekt an. Diese Hartnäckigkeit der Rollenkonflikte lässt sich besser verstehen wenn sie als Teil eines Subkulturkonfliktes aufgefasst werden.
Rollenkonflikte als Konflikt der Subkulturen
Die gruppendynamischen Rollenklärungen lassen sich als Kulturkonflikt der beteiligten Subkulturen interpretieren. Das beginnt bei den oberflächlichen Merkmalen wie der Kleidung. Die Spanne reicht vom Stöckelschuh der Geschäftsführungs-Assistentin bis zu den Sandalen des Software-Entwicklers. Vom Business-Anzug des SAP Spezialisten bis zum Karo-Hemd des Datenbankadministrators. Unwichtige Äußerlichkeiten? Keineswegs! Wenn ein Mitarbeiter zu einem Termin in unangemessener Kleidung erscheint, werden die Anwesenden ohne es zu wollen schon ein wenig voreingenommen sein d.h. die Saat des Missverständnisses ist schon gelegt. Es geht weiter mit Sprache, Begüßungsritualen und Witzen. Was die einen lachend auf dem Boden kugeln lässt entlockt anderen nur ein säuerliches Lächeln. Für den Begriff des „lachend am Boden liegen“ gibt es eine häufig gebrauchte Abkürzung „rofl“ (rolling on the floor laughing) diese hat in IT-affinen Kreisen inzwischen Eingang in die normale Sprache zurück gefunden. Wer diese Abkürzung nicht kennt wird entsprechend mit Unverständnis reagieren, wenn die IT-Kollegen grinsend den Begriff „rofl“ zitieren.
Zurück zur Rollenklärung in der Gruppe: In jeder Gruppe gibt es z.B. einen “Spaßmacher” eine Person, die für die gute Laune sorgt [siehe auch Teamrollen]. Es lässt sich jetzt schon erahnen, dass die Besetzung der Spaßmacher-Rolle in einer Gruppe, die sich aus unterschiedlichen Kulturen zusammensetzt, schwierig werden kann. Die humorvollen, lockeren Kreativen auf der einen, die bierernsten SAP-Spezialisten auf der anderen Seite. Dazwischen der respektlose Karo-Hemd tragende Datenbank-Administrator, der sich über alle lustig macht. Das wäre jetzt ein erster Blick auf die oberflächlichen und offensichtlichen subkulturellen Differenzen.
Die tiefer liegenden kulturellen Differenzen haben schwerwiegendere Auswirkungen auf die Rollenklärung im Team. Die Normen und Grundannahmen bzgl. Führung und Loyalität unterscheiden sich in den genannten Subkulturen erheblich. Die Subkultur der IT-Spezialisten huldigt oft einem ausgeprägten meritokratischen Führungsprinzip. Der Begriff der“Meritokratie” geht auf den Soziologen Michael Young zurück [Young 1957,1994]. In einer Meritokratie werden Herrscher aufgrund ihrer Leistung ausgewählt. Bei IT-Spezialisten ist eine meritokratische Grundhaltung häufig anzutreffen. Der Senior-Entwickler mit großer Erfahrung hat mehr Einfluss und Macht als der Junior-Entwickler. Dies wird z.B. auch in den Visitenkarten Zusätzen wie “Senior-Entwickler” oder “Junior-Entwickler” deutlich. Andere Abteilungs-Subkulturen der gleichen Firma legen hingegen mehr Wert auf die hierarchische Stellung im Gesamtorganigramm. Die möglicherweise stattfindende Machtprobe mit dem gesetzten Projektleiter erfolgt also unter völlig anderen Vorzeichen je nach dem aus welcher Subkultur der “Fragende” stammt. Unter diesem Blickwinkel betrachtet bekommt z.B. die oft zu hörende Frage “Welche Erfahrung haben Sie?” ein ganz neues Gewicht.
Entstehung einer spezifischen Projektkultur
Das konstruktive Ergebnis der projektinternen Gruppendynamik, das heißt der Übergang der Vergewisserungsphase in die des erfolgreichen und zielorientierten Handelns lässt sich mit der erfolgreichen Entstehung einer Projekt-Subkultur identifizieren. Die Überwindung der durch kulturelle Unterschiede erschwerten Rollenklärung stellt einen sehr tragfähigen Konsens dar. Dieser Konsens ist gleichbedeutend mit der Verständigung auf einen gemeinsamen Satz von Werten und Normen (siehe Bild 1 Kulturzwiebel), das heißt in der konstruktiven Lösung des Rollenkonfliktes ist die Verständigung auf eine gemeinsame Projekt-Subkultur enthalten (siehe Bild 2). Die Entstehung einer eigenen Projektkultur ist zugleich eine Bestätigung oder Rückversicherung des in der Entstehungsphase relevanten Themas „Zugehörigkeit“. Das Erleben einer gemeinsamen Kultur stärkt das Gefühl der Zugehörigkeit erheblich.
Relevanz für die Projektarbeit?
Das positive Erlebnis der Zugehörigkeit und das zumindest während des Projektes andauernde Gefühl einer gemeinsamen Kultur ist eine starke Motivationsquelle für Mitarbeiter. Es ist zu erwarten, dass die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit in Teams, die eine ausgeprägte Kultur aufweisen, höher sind. Eine starke positive Korrelation zwischen konstruktiver Gruppendynamik und Projekterfolg wurde in mehreren Untersuchungen nachgewiesen. [Huber, Lindenhahn 2010]
Kritische Betrachtung des "Begriffs Modell"
Wenn über Führung, Kommunikation und Kultur gesprochen wird tauchen immer wieder Bezüge zu Modellen auf: Das Fünf-Seiten oder Fünf-Ohren-Modell, das Zwiebelmodell, die Phasenmodelle in der Teamentwicklung. Es stellen sich die Fragen: Wozu ist ein Modell gut? Was kann und soll es leisten? Der vordergründige Eindruck ist der eines (natur)wissenschaftlichen Modells, eines Modells im Sinne einer Aussage “So ist das!”. Diese Ansicht ist jedoch selbst im Kontext der Naturwissenschaften nicht korrekt. Am Anfang stehen die Beobachtung und die Beschreibung. Danach entsteht ein Erklärungsversuch. Der beschreibende Beobachter versucht sich ein – in seinem Geist verkleinertes – Bild zu machen wie das beobachtete Phänomen im Kern funktionieren könnte. An einem völlig fachfremden Beispiel aus der Astronomie lässt sich diese Vorgehensweise sehr schön verdeutlichen.
Frühe Astronomen beobachteten den Himmel und zeichneten die Bahnen der Lichtpunkte auf. Sie entwarfen auf der Suche nach Verständnis unter anderem ein Modell konzentrischer Schalen, die sich ineinander bewegen konnten. Das Modell der Welt entsprach also einem Teller mit mehreren darüber gestülpten durchsichtigen Salatschüsseln. Die Vorstellung das Weltall bestehe aus durchsichtigen Riesenschüsseln erscheint aus heutiger Sicht absurd. Heute haben wir ein anderes und “besseres” Modell der Welt und des Weltalls. Möglicherweise ist es genauso “falsch” wie die Salatschüsseln. Der wesentliche Unterschied zum Salatschüssel-Modell ist die Vorhersage-Mächtigkeit und der Erfolg. Mit den Vorhersagen des heutigen Weltmodells lassen sich Satelliten starten und Navigationsgeräte fürs Auto bauen. Ein Navigations-Gerät auf Basis der Salatschüssel-Formeln würde schwerlich funktionieren.
Zurück zur Sozialwissenschaft und den Kommunikations- und Team-Modellen. Wenn von den Seiten einer Botschaft oder einer Teamentwicklungsphase gesprochen wird, soll das nicht bedeuten “Das ist so!” oder “Menschen sind so!”. Diese Modelle sollen lediglich helfen manche Vorgänge, die häufig in ähnlicher Weise auftreten, besser zu verstehen. Kommunikationsfehler oder Streitigkeiten in Gruppen liefern immer wieder ähnliche Geschichten. Es gibt die typischen Geschichten, die, wenn sie erzählt werden, bei den Zuhörern ein zustimmendes Kopfnicken auslösen. Der Gedanke “Das kenne ich” oder “das habe ich schon so ähnlich erlebt” steht im Raum. Diese Ähnlichkeiten besser in Worte zu fassen ist der eigentliche Sinn der Modelle. Ein in Worte gefasstes Verständnis ermöglicht ein zielgerichtetes Verhalten und ggf. die Vermeidung von Kommunikationspannen oder gruppeninternen Streitigkeiten. Damit schließt sich der Kreis zum Projektmanagement. Es geht um bewusstes, zielgerichtetes Handeln. Bewusstsein und Verständnis gehen Hand in Hand. Jede vermiedene Kommunikationspanne jeder konstruktiv gelöste oder gar vermiedene Konflikt kommt den Menschen und dem Projekt zu gute.
Literatur
[Antons et al. 2004] Antons, Klaus et al. Gruppenprozesse verstehen : Gruppendynamische Forschung und Praxis. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2 2004
[Blom, Meier 2002] Herman Blom und Harald Meier, Interkulturelles Management, Verlag neue Wirtschafts-Briefe, Herne/Berlin 2002, Seite 40
[Hofstede2001] Hofstede, Geert (2001) Culture’s Consequences – Comparing Values, Behaviors, Institutions and Organizations Across Nations, 2. Auflage, Thousand Oaks, London, Neu Delhi 2001
[Becker, Huber 2008] Cleo Becker und Eberhard Huber Das Team-Uhrwerk Steuerung des Gruppenprozesses in Projekt-Teams pentaeder 2008 / Nationalbibliothek: d-nb.info/992003407
[Belbin 1993] Belbin, R. Meredith Team Roles at Work . Oxford : Butterworth-Heinemann 1993.
[Lindenhahn, Günther, Huber. 2008] Sven Lindenhahn, Sebastian Günther, Eberhard Huber Einfluss agiler Praktiken auf Teammerkmale und Erfolg von Softwareentwicklungsprojekten, Technical Report der Uni Magdeburg 2008, FIN-014-2008
[Maletzke1996] G. Maletzke. Interkulturelle Kommunikation. Stuttgart 1996: WDV, S. 16
[Tuckman 1965] Tuckman, Bruce W.: Developmental Sequence in Small Groups, Psychological Bulletin, vol. 63, 1965, pp. 384-399.
[Young 1957,1994] Michael Dunlop Young Rise of the Meritocracy, 1957 Transaction Publishers Auflage: 1994 Reprint, ISBN: 1560007044
[Huber, Lindenhahn 2010] Eberhard Huber, Sven Lindenhahn: TEAMWORK: Warum Projektteams erfolgreicher sind als Projektgruppen Objektspektrum Ausgabe 02 / 2010
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