Inhalt : Kybernetisches Bauprojektmanagement

Komplexität im Bauprojekt:

Gemäß Malik äußert sich Komplexität im Management dadurch, dass die formalen Führungsorgane eines Unternehmens, welche Bezeichnungen sie auch immer tragen mögen, niemals über ausreichende Information, Wissen, Können oder Fähigkeiten verfügen, um ein Unternehmen jenseits einer Komplexitätsbarriere im Detail führen oder steuern zu können. Nach Kirchhof lassen sich darüber hinaus verschiedene Determinanten für die Komplexität in der Unternehmung benennen, wie z.B. die zunehmende Anzahl und Vernetzung von Einflussgrößen wie politische, rechtliche und kulturelle Rahmenbedingungen, Märkte und Kunden, Produkte, Leistungen, Prozesse, Lieferantenbeziehungen, Informationssysteme und Organisationsformen.(Rath)

Eine wesentliche Ursache für die Komplexität eines Bauprojekts ist die Vielzahl ausschließlich für das jeweilige Bauvorhaben zusammen arbeitender Unternehmen und Personen. Neben der absoluten Anzahl von Projektbeteiligten müssen die Anzahl der geschlossene Verträge und der Umfang der jeweils beauftragten Leistungen beachtet werden. Durch jeden weiteren Vertragspartner erhöht sich die Anzahl der zu koordinierenden Schnittstellen in Bezug auf Ausführungstermine und Ausführungsplanung. Neben der organisatorischen Komplexität spielt auch die technische Komplexität bei Bauvorhaben eine bedeutende Rolle. Schwierigkeiten können diesbezüglich einerseits aus neuartigen Baustoffen, Konstruktionen oder Bauverfahren resultieren, falls keine bzw. wenig praktische Erfahrungen damit vorliegen. Andererseits zwingen die projektspezifischen Bedingungen (Witterung,Geometrie etc.) häufig dazu, individuelle Anpassungen auch bei bereits erprobten Konstruktionen oder Verfahren erst vor Ort vorzunehmen. Daraus resultierende Folgeprobleme betreffen durch die Abhängigkeiten der Bauabläufe und die jeweiligen Schnittstellen meistens mehrere Gewerke. Die Gesamtkomplexität bei einem Projekt lässt sich daher aus der Kombination von organisatorischer Komplexität (gesamter Leistungsumfang für das Bauvorhaben, Anzahl der Vertragsverhältnisse) und technischer Komplexität (neuartige bzw. vor Ort zu klärende Konstruktionen) beschreiben. (Schwerdtner)


Kybernetische Methode (VSM):

"Kybernetik ist die Lehre von der Regulierung/Steuerung und Kommunikation im Lebewesen und in der Maschine." Norbert Wiener

Projektstrukturen müssen so konzipiert werden, dass sich das Projekt stetig an ändernde Gegebenheiten der inneren und äußeren Projektumwelt anpassen kann. Wurde eine Projektstruktur so konzipiert kann man von einer „lebensfähigen“ Struktur, oder wie dessen Schöpfer Stafford Beer (Stafford Beers Ansatz des lebensfähigen Systems erlaubt, die spezifischen Merkmale biologischer Systeme für die Steuerung sozialer Organisationen zu nutzen. Beer bildet eine Analogie zwischen dem menschlichen Zentralnervensystem und Unternehmen. Die Strukturen, die ein System lebensfähig, d. h. adaptiv, lernfähig, responsiv und selbstregulierend machen, sind in vielen sozialen Systemen unterentwickelt) das nannte, von einem Viable Systems Model sprechen. 

Zwei wesentliche Grundregeln des Viable System Model (VSM) sind:

  • Rekursivität: Die Rekursivität ist das wesentlichste Gestaltungsprinzip des VSM. Es besagt, dass jedes lebensfähige System mindestens ein anderes lebensfähiges System enthält und gleichzeitig Teil mindestens eines anderen lebensfähigen Systems ist. (Every viable system contains, and is contained of, a viable system, Stafford Beer, Heart of the Enterprise, S. 11)
  • Information: Die Ressource „Information“ ist das elementare Mittel zur Steuerung einer Projektstruktur.

Die grundlegenden systemischen Regeln des VSM werden nachfolgenden erläutert. Das VSM unterteilt sich in 5 Systemebenen mit verschiedenen Aufgaben der jeweiligen Systemebene:

  • System 1: Produktion (Management, Leistungserbringende Einheit, Umwelt)
  • System 2: Koordination und Steuerung der Produktion von System 1
  • System 3: Operatives Management (Gegenwartsgeschäft)
  • System 4: Strategisches Management (Zukunftsgeschäft)
  • System 5: Normatives Management (Grundregeln und Ausbalancieren von System 4 mit System 3).

Kybernetisches Bauprojektmanagement/ KBPM®:

Die Steuerbarkeit des Unvorhersehbaren - ist eine Möglichkeit der Definition des kybernetischen Bauprojektprojektmanagements. 

In klassischen Hoch- und Tiefbauprojekten existierten tiefgreifende Unvorhersehbarkeiten welche durch klassisches PM/ BPM nur unzureichend beherrscht werden können. Eine Idee wie Bauprojekte organisatorisch aufgesetzt werden sollten und was es für Möglichkeiten gibt um das Bauprojekt auszusteuern liefert der noch nicht weit verbreitete kybernetische Ansatz. Das kybernetische Bauprojektmanagement kombiniert dabei die Gestaltungsregeln der Kybernetik (k) mit den Aufgaben und Handlungsbereichen aus dem Bauprojektmanagement (BPM). Die Methode des „kybernetischen Bauprojektmanagements“ dient der optimierten Durchführung von Planungs- und Bauprozessen. Dazu müssen wir uns von der Alten Welt, der konstruktivistisch-technologischen Theorie und Herangehensweise d.h. an eine vollständig planbare Zukunft zu glauben lösen und das Bauprojektmanagement der Neuen Welt basierend auf der systemisch-evolutionären Managementtheorie zulassen. Wir müssen uns und anderen eingestehen das es die berechenbare Zukunft nicht gibt.

Kombiniert man Gestaltungsregeln der Kybernetik mit den zwei wesentliche Aufgaben aus dem Bauprojektmanagement (BPM), den Planungs- und Bauprozessen und der Leitung und Steuerung stellt sich die Frage: was dabei heraus kommt und welchen Nutzen es für die Gestaltung des BPM haben könnte.

In nachfolgender Grafik ist dargestellt wie das BPM aussieht wenn man es bei einer gewöhnlichen Struktur innerhalb einer klassischen Projektkonstellation bei Planungs- und Bauprozessen auf kybernetische Gestaltungsregeln übersetzt. Wie nachfolgend zu sehen ist enthält System 1 die operativen „Leistungserbringenden“ Strukturen für die in Bauprojekten auftauchenden Planungs- und Bauprozessen. Eine lebensfähige Einheit im Sinne der Kybernetik (Viable System Model = VSM) besteht dabei wie grafisch dargestellt aus der operativen Einheit, hier „Planungseinheit“ welche im Ergebnis für die Planherstellung zuständig ist und der „Baueinheit“ welche im Ergebnis für die eigentliche Herstellung des Bauteiles verantwortlich ist.

Wie „rot“ hervorgehoben zu sehen ist, lassen sich für das "kybernetische Bauprojektmanagement (BPM VSM)" drei wichtige Bereiche identifizieren: allen voran steht die oft vernachlässigte Projektumwelt welche ausgesprochen starken Einfluss auf ein Bauprojekt ausübt, auf Platz 2 kommt die Projektsteuerung, welche an der Projekthalsschlager verankert sein muss, durch welche alle Projektinformation fließt, nur dann kann vollständig und wirksam gesteuert werden. Auf Platz 3 findet sich die Projektleitung, welche insbesondere Qualität und Resourcen zu sichern hat und wesentlich zur Komplexitätsreduzierung betragen muss. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Varietätenengineering:

"In der Kybernetik bezeichnet man eine Zunahme an Wirk-, Handlungs- und Kommunikationsmöglichkeiten eines Systems mit dem Begriff der zunehmenden Varietät. Gemäß William Ross Ashby dient die Varietät der Messung der Komplexität eines Systems. Unter Varietät versteht man die Anzahl unterscheidbarer Zustände eines Systems oder die Anzahl unterscheidbarer Elemente einer Menge."

Gemäß Ashby gilt "Nur Varietät kann Varietät beherrschen"

Gemäß Ashby´s Law geht die Kybernetik davon aus, dass die Ergebnisse des Handelns von der Struktur, den Regeln und den Interaktionsmustern der Teilnehmer abhängen. Dabei lässt es sich vom prozessorientierten Wandel leiten und unterstützt eine kreislauf- und rückkopplungsorientierte Kommunikation zwischen den Mitarbeitern. Entscheidend für die Anwendung des kybernetischen Management ist, dass es eine methodische Grundlage für das Handeln liefert. Denn heute geht es im Management nicht nur um Komplexitätsreduktion, sondern um das Verständnis komplexer Zusammenhänge, vor allem im Kommunikationsverhalten. Das Lösen von Problemen erfordert, dass das lenkende System mindestens dieselbe Varietät besitzt wie das zu lenkende System. Bei ökologischen und sozialen Systemen führt eine Spezialisierung der Teile zu abnehmender Vielfalt. 

Ashby´s Varietätstheorem stellt die Konsequenzen Vk welche auf ein System wirken als Quotient von Störungen Vs und Systemreaktionen Vr dar.

Die Varietät der Konsequenzen kann nicht geringer sein als das Verhältnis der Varietäten der Störungen und den möglichen Reaktionen.

Hierzu wurden Varietätszahl und Varietätsgrad eingeführt. Beide Größen dienen ebenfalls der potentiellen Messung der Komplexität in der Kybernetik und sind wie nachfolgend definiert beschrieben:

- Die Varietätszahl:

Diese beschreibt den Quotienten der Summe aller Wechselbeziehungen W einer Projektstruktur zur Anzahl der Ordnungsebenen OE.

- Der Varietätsgrad:

Dieser ist der Quotient aus der Summe aller Wechselbeziehungen W zu der Anzahl der Knoten K der Projektstruktur.

Aus Ashby´s Law folgt, dass eine organisatorische Einheit zur Erfüllung ihrer Aufgabe eine Varietät benötigt, die der Summe der Varietäten der zu kontrollierenden Einheiten entspricht. Das Management einer Organisation hat demnach zwei Möglichkeiten Aktiv mittels Regelung in die Gleichgewichtsbedingungen der Projektstruktur einzugreifen:

1) Dämpfung= Reduzierung der Varietät der Umwelt des Systems
2) Verstärkung= Erhöhung der eigenen Varietät

Dämpfer und Verstärker:

Unterscheiden sich bei Projektstrukturen "innere" von "äußeren" Varietäten empfiehlt es sich Dämpfer oder Verstärker einzusetzen um die Varietäten (innere/äußere Komplexität) einer Struktur anzupassen und einen Zustand des Gleichgewichtes zwischen den verschiedenen Varietäten herzustellen. In der Systemtheorie wird im Zusammenhang mit dem Begriff Gleichgewicht der Begriff Homöostase (griechisch: Gleichstand) verwendet.

Im allgemeinen kommen für Dämpfer und Verstärker folgende Instrumentarien in Frage:

Dämpfer:

  • Reduktion der Informationsmengen 
  • Aufgaben delegieren
  • Management by Objectives
  • Strikte und enge Administration
  • Implementierung eines Management Audits

Verstärker

  • Stäbe, Erweiterung Management,Assistenten, Best Practices 
  • Adäquate Informationssysteme 
  • Informationen an Subsysteme
  • Forcierung von Teamwork

Dämpfer und Verstärker im Bauprojektmanagement: 

Dämpfer:

  • Reduktion der Informationsmengen 
    • Installation von Filtern, 
    • Vorsortierung, 
    • Input Workflows mittels virtuellem Projektraum (PKM)
    • Begrenzung der Informationsmittel
    • Einhaltung von Regeln im Informationsprozess im Standardfall (Dienstweg)
    • Für die Messung von TQK empfiehlt sich eine interne Projektsteuerung, eine externe ist nur zu empfehlen, wenn die Verwaltungsprozesse des Unternehmens nicht zu stark ausgeprägt sind.
  • Aufgaben delegieren
    • Workflow´s über PKM oder Delegiert an Subsysteme
  • Management by Objectives
  • Strikte und enge Administration
  • Implementierung eines Management Audits

Verstärker

  • Erweiterung Management
    • Trainings
    • Neue Manager (aus verschiedenen Marktsegmenten: Bauindustrie, Planung, Auftraggeber)
    • Assistenten
    • Kommunikations und Administrationsstäbe
    • Best Practices über externe Audits
  • Adäquate Informationssysteme
    • Achtung aber nicht zuviel Information (Alle über alles Informieren)- "Einhaltung des Dienstweges"
  • Informationen an Subsysteme
    • Schnittstellen reduzieren- d.h. Vorzug für Generalplanung und unternehmung
    • Achtung Problem Informationsverlust - "siehe stille Post"
    • Kritik durch Subsysteme (z.B. Projekteam) zulassen
      • Achtung Stabilität wird pos. wie negativ beeinflusst
      • Gruppengröße beachten (max. 10-15) 
      • Beachte -  Entscheidungen sind von der Projektleitung zu treffen - zuviel Demokratie schadet dem Projektfortschritt
  • Forcierung von Teamwork
    • Kann die Komplexität der Projektleitung erhöhen

Komplexitätsreduzierend wirken folgende Regelungsmechanismen:

  • Kapazitätsvereinbarung mit ANBau aufstellen
  • Flexible Anfang und Endtermine mit Nachfolgegewerken vereinbaren
  • Puffer Zeiten und Kooperative Zeiträume ausweisen

Engpass Konzentrierte Strategie

Die Grundprinzipien von Wolfgang Mewes, die er in der EKS (Engpass Konzentrierten Strategie oder Evolutions
Konformen Strategie) für die Wirtschaft dargelegt lauten wie nachfolgend dargestellt:

  • Nutzenoptimierung für den Kunden stehen vor der eigenen Gewinnmaximierung,
  • Immaterielle Werte haben Vorrang vor den materiellen.
  • Konzentration auf den jeweiligen Engpass
    • Bei Bauprojekten liegen die Engpässe im Bereich der Ressourcen d.h. Mensch, Maschine, finanzielle Mittel 
    • Siehe hierzu auch oben stehende "Komplexitätsreduzierendes Tools" einer Kapazitätsvereinbarung mit dem ANBau 

Literaturempfehlungen:

M.Frahm, Kybernetisches Bauprojektmanagement - Gestaltung lebensfähiger Baustrukturen auf Grundlage des Viable System Models (2016 Stuttgart)

H.Steiner, R. Jernej, Kybernetisches Bauprojektmanagement - Einige Grundlagen (2017)

Readings:

M.Frahm, H. Rahebi, Kybernetik, Lean, BIM Erfahrungen bei der Umsetzung in Infrastruktur- und Tunnelgroßprojekten (2017)


 


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