Agiles (Projekt) Management ist gekennzeichnet durch eine inkrementelle Vorgehensweise. Es macht dabei u.a. Anleihen beim Lean Management. Um diese Wurzeln richtig einordnen zu können, stellt dieser Abschnitt die relevanten Lean Grundlagen kurz dar. Lean (Management) ist ein Management-Konzept, das in den 1980er und 90er Jahren in US-amerikanischen Studien des Toyota Production System hat. Dessen Wurzel liegen wiederum in den Anfängen der amerikanischen Automobilindustrie, die durch das Fließband von Henry Ford geprägt wurde. Führungs- und Verbesserungskonzepte gehen außerdem auf das weitgehend in Vergessenheit geratene TWI-Programm (Training Within Industry) des US-Kriegsministerium aus den frühen 1940er Jahren zurück, welches ins Leben gerufen wurde, um mit großteils ungelernten Arbeitskräften den erhöhten Bedarf an Industrie- und Rüstungsgütern zu decken.
Lean Prinzipien
- Wert aus Sicht des Kunden definieren. Zu diesem Prinzip gehört auch das Grundverständnis, dass sich der Wert durch den Kunden (auch der internen) dadurch manifestiert, dass er bereits ist für diesen Wert – also den Nutzen, der gestiftet wird – zu bezahlen
- Wertstrom identifizieren. Neben der Zahlungswilligkeit des Kunden ist ein weiteres wichtiges Merkmal von Wertschöpfung die Veränderung, die ein Produkt oder eine Dienstleistung entlang des Wertstroms erfährt.
- Fluss-Prinzip. Dabei besteht das übergeordnete Ziel darin, eine Losgröße von 1 zu realisieren bzw. anzustreben. Nur die Losgröße 1 erlaubt es, eine minimale Durchlaufzeit zu erreichen, die dann im Idealfall der Bearbeitungszeit entspricht, weil keine Zeitverluste durch Zwischenlager entstehen. Der Losgröße 1 steht notwendige Rüstzeiten entgegen, die dadurch ihr Maximum erreichen. Das Flussprinzip geht also mit Bestrebungen nach einer Rüstzeitminimierung einher.
- Pull-Prinzip. Dieses Prinzip ist eng mit der Wertdefinition aus Kundensicht verknüpft. Während dort die inhaltlichen Anteile erfasst werden, betrifft das Pull-Prinzip die zeitlichen Aspekte. D.h. die Leistungerbringung oder die Produktion startet erst mit dem Kundenbedarf bspw. einer Bestellung. Diese Prinzip wird auch innerhalb der Wertschöpfungskette verfolgt. Ein vorgelagerter Produktionsabschnitt wird erst aktiv, nachdem ein Bedarf im nachgelagerten Schritt besteht.
- Perfektion anstreben. Im Perfektionsprinzip kommt der dritte notwendige Anteil an der Wertschöpfungsdefinition zum Ausdruck. Das ist die Notwendigkeit, dass eine Veränderung schon bei ersten Mal korrekt ausgeführt wird.
- Respekt für den Menschen. Mit Respekt ist nicht "wir haben uns alle lieb" gemeint. Es geht darum Menschen zu befähigen, Aufgaben zu erfüllen und sie in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Respekt bedeutet auch, dass die Menschen am Ort ihres Wirkens besucht werden, statt sie zum Vorgesetzten zu zitieren.
Lean Grundbegriffe (so weit sie für Agiles Management notwendig sind)
- Wertschöpfung. Der Begriff wurde bereits eingangs definiert. Wertschöpfung setzt die Zahlungsbereitschaft des Kunden aufgrund eines Nutzens, die Veränderung eines Produkts oder einer Dienstleistung und gleichzeitig die Korrektheit im ersten Anlauf.
- Verschwendungsarten (7+2). Die ersten sieben Verschwendungsarten formen das Akronym TIMWOOD, gebildet aus den Anfangsbuchstaben der englischen Begriffe.
- Transport (von Güter, Waren, Produkten und Maschinen)
- Inventory (Lager, auch Zwischenpuffer). Lager ziehen oft noch andere Verschwendungsarten nach sich, bspw. Transporte ins Lager bzw. wieder heraus. Defekte (Alterung, Verderbnis usw.) können auch beim Verweilen von Produkten in Lagern entstehen. Lager verursachen weiterhin indirekte Kosten (Immobilien, Heizung, …) und verschlechtern die Durchlaufzeit (siehe Work in Progress).
- Movement (Bewegung von Menschen)
- Waiting (Dazu gehört auch das Suchen). Die Zeitverschwendung ist die gravierendste Verschwendungsart, weil erstens die Zeit nicht wie physische Objekte erkennbar rumliegen, sie zweitens nicht zurückgewonnen werden kann und drittens die Menschen bspw. bei Suchen oft beschäftigt sind, also die verschwendete Zeit selbst gar nicht so bewusst wahrnehmen.
- Overproduction. Aus der Überproduktion resultieren oft Transport- und Lagerverschwendungen.
- Overprocessing. Unangemessene oder wiederholte Handhabung oder Prozesse sind die Aspekte dieser Verschwendungsart. In der Regel handelt es sich dabei um Aktivitäten, denen der Veränderungsaspekt eines Produkts fehlt und kein Nutzen für den Kunden entsteht.
- Defects & Errors. Diese Verschwendung fällt unter die fehlende Korrektheit beim ersten Anlauf. Dadurch entsteht Ausschuss oder es sind Nacharbeiten notwendig.
- Nicht genutztes Mitarbeiterpotenzial. Das Wissen und die Fähigkeiten der Mitarbeiter vor Ort wird nicht genutzt, weil diese Personen nicht in Verbesserungsthemen einbezogen werden.
- Unnötige Komplexität. Dadurch werden Aktivitäten notwendig, die bei Vermeidung der Komplexität nicht notwendig gewesen wären. Unnötige Komplexität trägt in der Regel nicht zum Nutzen für den Kunden bei und zieht weitere Verschwendungen nach sich.
- Gemba, Genchi Genbutsu. Diese beiden Grundbegriffe sind eng verwandt. Sie besagen, dass Verbesserungen immer und nur dort stattfinden können, wo die Wertschöpfung stattfindet (Gemba). Führungskräfte sind durch Genchi Genbutsu aufgefordert sind, sich ein eigenes Bild am Ort des Geschehens zu machen und dort Verbesserungen anzuregen und mit den Beteiligten vor Ort umzusetzen.
- Work in Progress. Die Definition des Begriffs ist vergleichsweise einfach und eben erstmal wortwörtlich zu betrachten. Wichtiger ist es dagegen, die Gründe zu reflektieren, warum die Reduktion des WiP wichtig ist, bzw. welche Vorteile sich ergeben, speziell vor dem Hintergrund, dass es sich beim Agilen Management ja nicht um eine klassische Produktion mit greifbaren Gütern handelt. Zwischenprodukte benötigen einerseits Lagerplatz (zumindest in der Produktion) und verzögern andererseits die Durchlaufzeit durch den Prozess, weil die Zwischenlager mit den Losgrößen zuerst abgebaut werden müssen, bevor der nächste Bearbeitungsschritt beginnt. Speziell der Durchlaufzeit kommt bei agilen Methoden eine hohe Bedeutung bei, exemplarisch in der Software-Entwicklung, wenn Einzelmodule zuerst verschiedene Test- und Teilintegrationsphasen durchlaufen müssen, bevor eine lauffähige Gesamt-Software erstellt werden kann.
- Kanban. Kanban ist eine Methode, die dezentrale Steuerung von Prozessschritten zu erreichen. Ebenfalls ursprünglich aus der Produktion kommend, wird mittels Kanban eine Begrenzung des WiP erreicht, indem erst dann ein Prozessschritt angestoßen wird, wenn der nachfolgende Abschnitt dies mit einer Kanban-Karte signalisiert.
- Neben den oben genannten Prinzipien strebt Lean Management grundsätzlich danach den Kundennutzen kontinuierlich zu steigern und gleichzeitig den Zeitraum zwischen der Erkenntnis eines Bedarfs beim Kunden und dem Zahlungseingang beim Leistungserbringer zu minimieren.
Moderne Erkenntnisse über die Grundlagen und die Philosophie des Toyota Production Systems beziehen sehr stark die Rolle der Führungskräfte mit ein. Dazu wird die notwendige Ausrichtung der Verbesserungsbestrebungen an übergeordneten Zielen betont und den Führungskräften Methoden und Werkzeuge an die Hand gegeben, um dies zu erreichen.
- Verbesserungs-Kata. Der Kata-Begriff hat seinen Ursprung im asiatischen Kampfsport und beschreibt dort die Einübung von Routinen (in Bewegungsabläufen und Reaktionen). Die Verbesserungs-Kata (nach Mike Rother) ist eine vierschrittige Routinefolge zur Kontinuierliche Verbesserung der Abläufe und vorallem der Ausrichtung an übergeordneten Unternehmenszielen bis hin zu einer Unternehmensvision. Neben dieser generellen Ausrichtung im ersten Schritt spielt dann der aktuelle Zustand und der nächste anzustrebende Ziel-Zustand eine entscheidende Rolle. Der nächste Ziel-Zustand wird durch gegebenenfalls sich wiederholende PDCA-Zyklen erreicht.
- Coaching-Kata. Diese Kata ist der Weg, der es Führungskräften erlaubt, die Mitarbeiter in der Verbesserungs-Kata durch Fragen zu unterstützend. Diese Fragen orientieren sich an den vier Phasen der Verbesserungs-Kata und hinterfragen sie gezielt, um bei den Beteiligten (Mitarbeitern) Lerneffekte auszulösen und in der Verbesserung aktiv Routine zu schaffen. Beiden Katas ist gemeinsam, dass sie zu Beginn sehr starr wirken (wie im Kampfsport), um später nach Erreichen der notwendigen Routine wieder Gestaltungsspielräume zuzulassen. Besonders bei der Coaching-Kata ist zu betonen, dass sie sehr stark auf eine positive Fehlerkultur setzt und dies damit begründet, dass ohne Fehler in Verbesserungsbestrebungen kein neues Wissen entstehen kann.
In diesem Abschnitt wurden in Kürze die wichtigsten Elemente des Lean Managements beschrieben. Es ist dabei wichtig, sich diese Grundlagen bewusst zu machen, um den Bezug lebendig zu halten und zu vermeiden, dass die Wurzeln verloren gehen und bestimmte Aspekte irgendwann eine Entwicklung durchmachen, die von der ursprünglichen Intention wegführt und nicht mehr die gewünschten Ergebnisse erzeugen.
Logische Ebenen nach Robert Dilts | Ausprägung im Lean Management |
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Ebene VI: Vision, Mission, Zugehörigkeit | Unternehmensvision am Kundennutzen ausgerichtet, Beitrag zur Gesellschaft leisten |
Ebene V: Identität | Täglich gelebte kulturelle Leitbilder |
Ebene IV: Wert, Glaubenssätze, Filter, Meta-Programme | Respekt für den Menschen, Qualität vor Gewinn, alles kann verbessert werden, Verbesserung endet nie und findet täglich statt (Streben nach Perfektion, Null-Fehler), Ziele werden nur gemeinsam erreicht (Zielentfaltung über alle Unternehmensebenen) |
Ebene III: Fähigkeiten | Prozess- & Ergebnisorientierung, Zusammenarbeit in Teams, intensive und zielgerichtete Kommunikation mit allen Beteiligten, mitarbeiterorientierte Führung |
Ebene II: Verhalten | Qualitätsorientierung, Standards, Kontinuierliche Verbesserung, Verbesserungsarbeit auf der unterst möglichen Ebene, „Produktion“ orientiert sich am Bedarf |
Ebene I: Kontext | Gemba, Genchi Genbutsu, Fokus auf den Kunden (extern & intern), alle Bereiche des Unternehmens werden betrachtet (nicht nur die direkt wertschöpfenden) |